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Verena Schmeiser
Un corps dédoublé: Der doppelsprachige Körper des Georges-Arthur Goldschmidt
In meiner schriftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Mehrsprachigkeit möchte ich speziell auf die Position von Georges-Arthur Goldschmidt eingehen, der 1938 als deutscher Junge jüdischer Abstammung nach Frankreich fliehen musste und sich seither selbst als doppelsprachig bezeichnet.
In den stark autobiographisch antönenden Romanen und Essays verarbeitet der 1928 in der Nähe von Hamburg geborene Autor und Übersetzer seine Erfahrungen der Heimatlosigkeit und des Exils im französischen Internat. Das Schreiben erweist sich dabei als ein therapeutisch anmutender Annäherungsversuch an die in der Heimat zurückgelassene deutsche Sprache und unterstützt ihn bei seinem Entwurf einer Doppelidentität. Wie einem Wiederholungszwang unterlegen stellt er unermüdlich seine beiden Sprachen gegenüber - die Sprache der Mutter, später des Feindes, und jene der Befreiung – und verharrt dabei am liebsten in den Zwischenräumen des jeweils Unsagbaren und Unübersetzbaren.
Den ambiguen Aufenthalt in jenem in-between oder entre-deux-langues erlebt Goldschmidt vor allem auf körperlicher Ebene, sei es im Sinne des gespaltenen Körpers, der Expulsion des Ichs aus dem eigenen Körper durch die Exilerfahrung oder der Multiplikation des Körpers in mehrere Identitäten:
„Er lebt in zwei Sprachen, und beide leben in ihm […]. Körperhaft spürt er, was die eine Sprache kann und was der anderen versagt ist.“ Dieses Empfinden findet Ausdruck sowohl in Goldschmidts alle Sinne betonendem Schreiben als auch in der Auseinandersetzung mit den unbewussten Strukturen der Sprachen, die speziell in seinen Freud-Studien behandelt werden. Sorgfältig analysiert er das Verhalten und die Grenzen des Französischen und des Deutschen, wobei er zu dem Entschluss kommt, Freud habe die Psychoanalyse in der Natur der deutschen Sprachen selbst entdeckt.
Auf scheinbar harmlose Weise zeichnet Goldschmidt in seinem zunächst auf Französisch erschienenen Essay Quand Freud voit la mer (1988) einen Parallelismus zwischen der Sprache und dem Meer, so als imitiere der Atem beim Sprechen auf Deutsch den Rhythmus von Ebbe und Flut, basierend auf der Hebung und Senkung des Brustkorbs, jenem Hin und Her bzw. dem berühmten Fort/Da des Kindes in Freuds Jenseits des Lustprinzips (1920).
„Im Deutschen geht alles vom Körper aus, kehrt zu ihm zurück, geht durch ihn hindurch […]“ und so spielt der Titel der nachfolgenden Studie Quand Freud attend le verbe (1996) auf die regressive Struktur des deutschen Satzes an, der das sinngebende Element – ergo das Verb – bis zum Schluss aufbewahrt und somit syntaktisch auf das körperlich Sexuelle verweist.
Im Fokus meiner Analyse stehen demnach die Facetten des Körper Topos bei Goldschmidt, jenem Zentrum, das „nicht nur Zuflucht, sondern, gerade in den ärgsten Züchtigungen, ununterwerfbare, unzerstörbare Bastion“ ist.
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