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Erika Hammer
Diskurse und Inszenierung von Mehrsprachigkeit in der Analphabetin. Eine autobiographische Erzählung von Agota Kristof und in Mein Alphabet von Ilma Rakusa
Kristof und Rakusa sind aus Ungarn stammende Schriftstellerinnen, die in der Schweiz leben bzw. gelebt haben. Kristof ist als eine Sprachwechslerin zu sehen, die aus ihrem Land flieht, um sich in einem, dessen Sprache sie nicht beherrscht, zu niederlassen. Dieser Prozess geht mit Sprachverlust einher. Kristofs Ich-Erzählerin ist in der „Analphabetin“ im Denkschema der Monokultur und Monolingualität, der „eine[n] einzige[n] Sprache“(A 31) verhaftet, wodurch die Mehrsprachigkeit für sie mit einer schmerzhaften Erfahrung verbunden ist. Sie beklagt die „Zugehörigkeit zu einem Volk verloren“ (A, 49) zu haben, weswegen sie sich in einer „sozialen […], kulturellen Wüste“ (A 56) befindet. Ihre neue Sprache, das Französische nennt sie eine Feindessprache, weil diese Sprache ihre „Muttersprache tötet“ (A 35). Zur Analphabetin geworden sucht sie sich im Niemandsland der Sprachen.
Rakusa hingegen stammt aus einem mehrsprachigen Milieu, ihr ganzes Leben ist – auch als Übersetzerin – vom Unterwegssein zwischen Sprachen geprägt. Ihre Kunst ist als ein Exempel für postmonolinguales Schreiben zu deuten. Rakusa setzt in ihren Texten die Wirkmächtigkeit des Einsprachenparadigmas (Dembeck/Mein) außer Kraft. So kann für sie das Alphabet zur polyphonen Verarbeitung von Erfahrungen dienen, zum kreativen Identitätsspiel werden. Dies ist in „Mein Alphabet“ zu sehen, in dem auch im Niemandsland der Sprachen die Identitätsarbeit läuft. Von der „nomadische[n] Kofferkindheit“ (MA 20) bis in die Gegenwart hinein entsteht ein, von den Gattungskonventionen abweichendes Modell der Identitätsstiftung, bei der die Mehrsprachigkeit eine zentrale Rolle spielt und positiv besetzt ist, als Spielmaterial dient.
Der Vergleich beider Texte zeigt auf ein mit Transkulturalität und Mehrsprachigkeit oft diskutiertes Problem, darauf dass die affirmative Einstellung zur Hybridisierung von Identität Machtverhältnisse und Marginalisierungen oft ausblendet, die „für Lebensläufe einzelner existentielle Bedeutung haben können“. (Schweiger 2994, 113).
Die hier ausgewählten Texte sind beide stark autobiographisch geprägt. Die unterschiedlichen Lebenserfahrungen der Autorinnen und ihre divergierenden Einstellungen zu Sprache führen zu markanten Unterschieden in den Texten. Bei Kristof erscheint die Mehrsprachigkeit nur als Thema, im Text selbst ist keine manifeste Mehrsprachigkeit zu entdecken. Hybridisierung wird als Zwang und Belastung erlebt. In Rakusas Text kommen hingegen zahlreiche Sprachen zu Vorschein und sind fester Bestandteil der Reflexionen des Ich. Diese Sprachen dienen auch als Material lustgewinnender Experimente.
Der geplante Aufsatz setzt sich zum Ziel durch den Vergleich beider Texte Positionen der Monolingualität bzw. postmonolingualen Schreibens darzustellen. Rakusas Prägung, die „Luftwurzel“ ist ein komplexes Bild, in dem ihre Positionierung bereits zu erkennen ist. Die Metaphorik der Wurzel weist zugleich auf andere mögliche Einstellungen hin, die anhand des Textes von Kristof dargestellt werden sollen.
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